Ethnographie: Definition, Anleitung und Beispiele

Ethnographie bzw. Ethnografie (altgriechisch für Völkerbeschreibung) ist eine qualitative Forschungsmethode, bei der Verhalten und Interaktionen einer bestimmten Menschengruppe beobachtet und beschrieben werden. 

Das Ziel von Ethnographie ist es, ein tiefes Verständnis für Kultur, Konventionen und soziale Dynamiken der untersuchten Gruppe zu entwickeln. 

Ethnographie wurde traditionell zur Erforschung fremder Kulturen angewendet. Heutzutage werden auch Subkulturen der eigenen Kultur anhand ethnographischer Methoden untersucht. 

Ethnographie wird auch als Feldforschung bezeichnet.

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Entwicklung der Ethnographie

Ihren Ursprung hat die ethnografische Forschung im Bereich der Anthropologie (Menschenkunde). 

Traditionell wurden anhand ethnographischer Methoden entfernte, unbekannte Kulturen untersucht. Dazu lebten die forschenden Anthropologen über einen längeren Zeitraum im Umfeld der untersuchten Menschengruppe, um deren Kultur zu verstehen. 

Beispiel: traditionelle ethnographische Forschung
Der Anthropologe Colin M. Turnbull lebte drei Jahre lang bei den Mbuti in Zentralafrika, um den Ethnographie-Klassiker The Forest People zu schreiben.

Heutzutage ist Ethnographie ein gängiger Ansatz in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Bereichen, z. B. in der Soziologie, der Erziehungswissenschaft und der empirischen Sozialforschung.  

Sie wird nicht mehr nur zur Erforschung entfernter oder unbekannter Kulturen verwendet, sondern auch zur Beobachtung spezifischer Menschengruppen innerhalb des eigenen Lebensumfeldes der forschenden Person. 

Beispiel: aktuelle ethnographische Forschung
Der Anthropologe Nitzan Shoshan untersuchte junge rechtsextreme Ostdeutsche, um die Monographie The Management of Hate zu schreiben.
Wusstest du schon, dass ...

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Methoden der Ethnographie

Die Kernmethode der Ethnographie ist die teilnehmende Beobachtung einer Gruppe von innen heraus.

Es gibt jedoch noch weitere Methoden zur Datenerhebung:

  • Soziale Netzwerkanalyse 
  • Ethnographischer Zensus
  • Konsensanalyse 

Hauptmethode: teilnehmende Beobachtung

Bei der teilnehmenden Beobachtung nimmt die forschende Person am Alltag der erforschten Gruppe teil, um deren Verhalten zu analysieren. 

Die so erhobenen Daten werden anschließend in Bezug auf die vorab formulierte Forschungsfrage ausgewertet.

Es gibt zwei Varianten der teilnehmenden Beobachtung:

  1. Offene vs. verdeckte Beobachtung
  2. Aktive vs. passive Beobachtung

1. Offene vs. verdeckte Beobachtung

Die meisten teilnehmenden Beobachtungen sind offen. Bei einem offenen Ansatz kommuniziert die forschende Person  der erforschten Gruppe das Forschungsvorhaben. Dadurch gibt er oder sie seine Rolle als forschende Person zu erkennen. 

Die offene Beobachtung wird in der Regel aus ethischen Gründen bevorzugt, da den erforschten Personen die Möglichkeit gegeben wird, der Forschung zuzustimmen.

Der Nachteil der offenen Beobachtung ist, dass Menschen sich anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden.

Manchmal wird eine verdeckte Beobachtung durchgeführt. In diesem Fall wird der erforschten Gruppe das Forschungsvorhaben nicht mitgeteilt. Die forschende Person taucht unter einem Vorwand in die Gruppe ein. 

Die verdeckte Beobachtung ermöglicht es, Gruppen zu beobachten, die einer Beobachtung nicht zustimmen würden . 

Allerdings kann eine verdeckte Beobachtung als unethisch begriffen werden.  

2. Aktive vs. passive Beobachtung

Je nach beobachteter Gruppe kann es sich anbieten, aktiver bzw. passiver an den Aktivitäten der erforschten Gruppe teilzunehmen. 

Bei einer aktiven Beobachtung versucht die forschende Person, sich vollständig in die erforschte Gruppe zu integrieren, Aufgaben auszuführen und wie jedes andere Gruppenmitglied an Aktivitäten teilzunehmen.

Die aktive Teilnahme der forschenden Person kann die Gruppe ermutigen, sich in deren Anwesenheit wohler zu fühlen. 

Allerdings birgt die aktive Teilnahme die Gefahr, das normale Funktionieren der Gruppe zu stören.

Bei einer passiven Beobachtung verhält sich die forschende Person distanziert und nimmt nicht an den Aktivitäten der Gruppe teil.

Ein Vorteil der passiven Beobachtung ist, dass der forschenden Person mehr Raum für sorgfältiges Beobachten und Protokollieren bleibt. 

Allerdings gibt es (auch) hier die Gefahr, dass sich die Gruppenmitglieder unnatürlich verhalten, weil sie das Gefühl haben, von einer außenstehenden Person beobachtet zu werden.

Beobachtungsprotokoll anfertigen (mit Beispiel) 

Um Beobachtungen festzuhalten, fertigst du ein Beobachtungsprotokoll (auch Feldnotizen genannt) an. Im Beobachtungsprotokoll hältst du alle wichtigen Daten fest:  

  • beobachtete Verhaltens- und Interaktionsweisen  
  • geführte Gespräche 
  • vorläufige Analysen 

Wenn du z. B. untersuchst, wie Servicemitarbeitende mit Kundinnen und Kunden en interagieren, schreibst du alles auf, was dir bei den Interaktionen auffällt, z. B. 

  • Körpersprache, 
  • wiederholt verwendete Sätze, 
  • Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Mitarbeitenden sowie
  • Reaktionen der Kundinnen und Kunden.
Beispiel: Beobachtungsprotokoll
Verbrachte den Nachmittag damit, Unterschiede im Serviceverhalten  zwischen den verschiedenen Mitarbeitenden hinter der Ladentheke zu beobachten. 

Samira interagiert am aktivsten mit den Kundinnen und Kunden – verwickelt sie in Gespräche, neigt dazu, zu lächeln und zu lachen. 

Matthew präsentiert sich neutraler – der Kunde hat vorhin einen Witz gemacht, er hat höflich gelächelt, ist aber nicht weiter darauf eingegangen. Kunde schien davon nicht irritiert.

Zögere nicht, auch Beobachtungen zu protokollieren, die außerhalb des vorformulierten Rahmens deiner Forschung liegen. Alles kann sich als relevant erweisen. 

Es ist besser, Beobachtungen zu protokollieren, die du später verwerfen kannst, als zu wenige auswertbare Beobachtungen zu notieren.

Das Beobachtungsprotokoll sollte so detailliert und klar wie möglich sein. 

Nimm dir daher Zeit, um deine Notizen durchzugehen, weitere Details hinzuzufügen und sie übersichtlich zu strukturieren. Notiere außerdem das Datum und den Ort der Beobachtung.  .

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Vor- und Nachteile ethnographischer Forschung

Der Hauptvorteil von Ethnographie besteht darin, dass sie dir einen direkten Zugang zur Kultur und zu den Praktiken einer Gruppe verschafft. 

Somit ist sie ein nützlicher Forschungsansatz, um aus erster Hand etwas über das Verhalten und die Interaktionen von Menschen in einem bestimmten Kontext zu lernen.

Indem du in ein soziales Umfeld eintauchst, hast du möglicherweise Zugang zu authentischeren Informationen und kannst spontan Dynamiken beobachten, die du durch einfaches Nachfragen nicht hättest analysieren können.

Ein weiterer Vorteil von Ethnographie ist, dass die Methode offen und flexibel ist. 

Ziel ist weniger, eine Theorie deduktiv zu überprüfen oder eine Hypothese zu testen. Stattdessen soll die untersuchte Gruppe anhand einer narrativen Darstellung in ihren komplexen kulturellen Mustern erkundet und beschrieben werden.

Nachteile ethnographischer Forschung

Ein Nachteil von Ethnographie ist der Zeitaufwand der Methode. 

Um in die untersuchte Menschengruppe einzutauchen und genügend kulturelle Merkmale zu beobachten, solltest du mindestens einige Wochen, eher sogar mehrere Monate einplanen. 

Zudem müssen in der ethnographischen Forschung zwangsläufig subjektive Interpretationen gemacht werden. Daher kann es schwierig sein, die notwendige Objektivität zu wahren, damit die Untersuchung der Gruppe nach wissenschaftlichen Standards erfolgt. 

Werden die Forschungsergebnisse stark von den persönlichen Erwartungen, Meinungen und Vorurteilen der forschenden Person beeinflusst, spricht man von Beobachter-Bias (Observer Bias). 

Zuletzt musst du auch ethische Erwägungen berücksichtigen: 

  • Wie offen teilst du der beobachteten Gruppe deine Rolle mit?
  • Wie gehst du mit sensiblen Informationen um, die du während deiner Beobachtung machst?  

Dann eignet sich Ethnographie für die eigene Forschung

Wenn du ethnografische Forschung in deiner Masterarbeit oder Dissertation einsetzen möchtest, entscheide anhand der folgenden Fragen, ob dies der richtige Ansatz ist:

  • Eignen sich andere Methoden zur Datenerhebung der benötigten Informationen (z. B. Umfrage, Interview)?
  • Wie schwierig wird es sein, Zugang zu der Gruppe zu erhalten, die du beobachten möchtest?
  • Hast du ausreichend Zeit, um eine ethnographische Forschung durchzuführen?
  • Welche ethischen Probleme könnten auftreten?

Wenn du dich für die Ethnographie entscheidest, ist es im Allgemeinen am besten, eine relativ kleine und leicht zugängliche Gruppe als Untersuchungsobjekt auszuwählen.

So stellst du sicher, dass die Forschung innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens durchführbar ist. 

Sonderform: Fokussierte Ethnographie

Fokussierte Ethnographie ist ein Forschungsansatz innerhalb der Ethnographie, bei dem andere Schwerpunkte gesetzt werden als in der traditionellen Ethnographie. 

Die Unterschiede werden in der folgenden Tabelle veranschaulicht. 

Unterschiede: traditionelle und fokussierte Ethnographie
Traditionelle Ethnographie Fokussierte Ethnographie
Beobachtung über längeren Zeitraum Beobachtung über kürzeren Zeitraum
Händische Notizen Digitale Protokolle (Audio- und Videoaufnahmen) 
Erfahrung, die die forschende Person über längeren Zeitraum sammelt, im Vordergrund Daten und Analysen, die anhand moderner Aufzeichnungsverfahren gesammelt werden,  im Vordergrund
Einzelne forschende Person Forschende Gruppe
Aktivere Teilnahme Passivere (Nicht-)Teilnahme

Häufig gestellte Fragen

Welche ethnographischen Methoden gibt es?

Die Kernmethode der Ethnographie ist die teilnehmende Beobachtung einer Gruppe von innen heraus.

Es gibt jedoch noch weitere Methoden zur Datenerhebung:

  • Soziale Netzwerkanalyse 
  • Ethnographischer Zensus
  • Konsensanalyse 
Welche Ziele hat Ethnographie?

Das Ziel von Ethnographie ist es, ein tiefes Verständnis für Kultur, Konventionen und soziale Dynamiken einer untersuchten menschlichen Gruppe zu entwickeln. 

Was ist ein ethnografisches Beobachtungsprotokoll?

Ein ethnographisches Beobachtungsprotokoll (auch Feldnotizen genannt) ist das Protokoll, das eine forschende Person während der teilnehmenden Beobachtung anfertigt.

Im Beobachtungsprotokoll hältst du alle wichtigen Daten fest:  

  • beobachtete Verhaltens- und Interaktionsweisen  
  • geführte Gespräche 
  • vorläufige Analysen 

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Solis, T. (2022, 25. Juli). Ethnographie: Definition, Anleitung und Beispiele. Scribbr. Abgerufen am 3. Dezember 2024, von https://www.scribbr.de/methodik/ethnographie/

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Tobias Solis

Tobias hat Musik, Geschichte und European Studies in Berlin, Regensburg und Madrid studiert. Nachdem er bereits als Lehrer Wissen vermittelt hat, bereitet es ihm nun beim Schreiben viel Freude, komplexe Themen aufs Wesentliche herunterzubrechen.